Es gibt kein Nein mehr

Zirka 25 mittelständische Unternehmer sind zur Mitgliederversammlung des Vereins zur Förderung der Konfektion technischer Textilien (KTex) bei der Firma Multi-Plot Europe in Bad Elmstal gekommen. Sie wählten Natalino Labate zum Nachfolger des künftig als Schatzmeister fungierenden Sebastian Sebald und sprachen sich ebenso einstimmig dafür aus, dass der Verein seinen Sitz von Fulda nach Köln verlegt.

„Große Unternehmen im Sonnenschutz warten vielfach noch ab. Doch es kommen kleine Interessenten, die keine Ahnung von Textilien haben und mit unserem Angebot um den digitalen Textildruck sofort loslegen“, sagt Joachim Rees, der Gastgeber der Versammlung, der uns einen Einblick in sein Technikum gewährt hat. Er zeigt auf ein sehr buntes Baumwollshirt, welches das Key Visual des von seiner Firma Multi-Plot Europe patentierten Verfahrens Sublifusion (abgeleitet von der weiter verbreiteten, aber mit Blick auf die Einsatzmaterialien limitierten Sublimation) trägt: „In diesem Shirt“, sagt Joachim „Joe“ Rees, „steckt eine Wasserersparnis von 2.700 Liter, gemessen am Verbrauch herkömmlicher Drucktechnik.“ Dank seiner technischen Weiterentwicklung ist es gelungen, die Vorzüge, derer sich sein Kunde Schmitz-Werke in Hinblick auf Farbbrillanz, Umwelteigenschaften und größtmögliche Flexibilität bei Farbe und Motiv schon länger bedient, auf Gewebe wie Acryl zu übertragen.

„Textiles muss nicht angestaubt sein“, appelliert zur gleichen Zeit Marc Pearson, der staatlich geförderte Ausbildungskonzepte in Zusammenarbeit von TÜV Nord Bildung und Dienstleister gpdm vorstellt, die über Berufliche Ausbildungsnetzwerke im Gewerbebereich mit Spezialisierung Textil (BANG TEX) den schon heute erheblichen Fachkräftebedarf in den Unternehmen der textilverarbeitenden Wirtschaft decken sollen. Dabei, sagt Pearson, stoße er auf Vorbehalte, selbst in textilen Clustern wie Nordrhein-Westfalen: „Da kommen Schüler, die ihre Lehrer schon vorgewarnt haben, sich nur ja auf nichts einzulassen, das womöglich nicht zukunftssicher ist.“

AMAZON ANTE PORTAS

Aber was ist schon sicher, heißt es in der Werbung. Na jedenfalls, sagt Innovator Rees, der selbst Maschinen, Tinte, Transferpapiere von überallher bezieht und gebündelt mit dem eigenen drucktechnischen Know-how an seine Kunden durchhandelt, seien Anbieter im digitalen Textildruck binnen kürzester Zeit in der Lage, ihr Sortiment unabhängig von der Containerware aus Fernost aufzubauen und die Käufer zum Beispiel von Markisen bei der Umsetzung noch so individueller Wünsche zu unterstützen („Es gibt kein Nein mehr“) – und das auf umweltverträgliche Weise. Aber das ist noch nicht alles: „Denken wir an die Daten, darum geht es doch heute“, sagt er im Gespräch mit dem sicht+sonnenschutz- Reporter: „Wenn ich als Micro Factory mit digitalem Textildruck die Motive des Kunden von dessen Fotos auf die Vertikaljalousien von Kadeco gedruckt habe, dann sind das meine Daten. Damit habe ich die Verbindung zu meinen Absatzmärkten dauerhaft gesichert.“

Im Sonnenschutz, sagt der Gastgeber der KTex-Versammlung, würden, wie gesagt noch viele abwarten. An die Mitglieder des Vereins gerichtet, sagt der Unternehmer deshalb: „Warten wir zu lange, dann werden andere kommen, die vielleicht gar keine Ahnung von Textilem haben, die aber die Chance, die sich uns mit dem Digitaldruck bietet, erkennen – denken Sie an den Internethändler Amazon.“ In das KTex- Geschehen selbst hält, des Eindrucks kann sich der neutrale Beobachter in Bad Elmstal nicht erwehren, zunehmend eine gewisse Dynamik Einzug. Obschon es im Vorfeld andere Stimmen gegeben hatte, wählen die Mitglieder im nicht öffentlichen Teil der Versammlung Multiunternehmer Natalino Labate zum Nachfolger des auf die Position des Schatz meisters gewechselten vorherigen Vorsitzenden Sebastian Sebald. Der Sohn sizilianischer Einwanderer, der seit mehr als zwei Jahrzehnten ehrenamtlich engagiert ist und einen Alu miniumverarbeiter für Trägersysteme, im Erzgebirge einen Produ zenten von Kunststoffteilen für Keder und seine eigene Werbeagentur gegründet hat, pocht – nicht nur in Hinblick auf die räumliche Trennung durch den Umzug nach Köln – auf die Unabhängigkeit des Vereins vom durch Ehren präsi dent Bernd Seybold vertretenen Industrieverband Technische Textilien – Rollladen – Sonnenschutz (ITRS): „Jahrelang wa ren wir nur das Anhängsel. Heute wollen wir auf eigenen Beinen stehen, das haben die Entscheidungen dieser Mit gliederversammlung gezeigt.“

ZWISCHEN SONDERSCHULE UND UNI

Dabei spricht Labate explizit davon, wie sehr er auf eine konstruktive Zusammenarbeit hoffe: „Ich kann mir vorstellen, dass beide Institutionen in der Lage sind, sich gegenseitig zu befruchten.“ Für ihn selbst, Labate, gelte: „Auch meine Zeit ist nicht unbegrenzt, deshalb hoffe ich, insbesondere für die Aus- und Weiterbildung in meinem Amt als Vorsitzender die Dinge entschlossen voranzubringen.“ Der Bedarf ist da, das arbeitet Ruth Pütz, Fachlehrerin für die technische Konfektion am Kölner Richard-Riemerschmid-Berufskolleg, in ihrer Präsentation heraus. 40 Absolventen werden dort nächstens in die Wirklichkeit des Berufslebens entlassen – und kommen von höchst unterschiedlichen Ausgangspunkten: „Wenn die Schüler zu uns kommen, sind die meisten 15 oder 16 Jahre alt“, sagt die Autorin des Buchs „Fachwissen Technische Konfektion“. Was die Vorbildung angeht, so reiche die Spanne von jungen Menschen, die von der Sonderschule ans Berufskolleg wechseln, bis hin zu Hochschulabsolventen mit abgeschlossenem Studium.

Die zirka 25 anwesenden Mitglieder des Verbands, der sich seit jeher in der beruflichen Aus- und Weiterbildung engagiert und der nicht nur mit Broschüren, sondern ebenso auf Plattformen wie Facebook oder Instagram den Bekannt heitsgrad des technischen Konfektionärs in der Zielgruppe junger Menschen erhöht, nimmt Pütz mit auf einen Schnell durchlauf der Ausbildungsinhalte: Da ist die Rede davon, wie die angehenden Fachleute ein Gelenkarmmarkisentuch berechnen oder in der Oberstufe aus gespannten Flächen textile Bo gen konstruktionen entwerfen. Doch die Bildungsein richtung fragt die neuen Azubis auch, wie sie auf den in der Fläche noch nicht so bekannten Beruf aufmerksam geworden sind: „Während früher viele vom Arbeitsmarkt geschickt wurden, kümmern sich heute die Interessenten zunehmend selbst um Informationen. So hören wir immer öfter, verschiedene eingestellte Inhalte im Internet hätten sie aufmerksam gemacht“, sagt Pütz. Dabei darf die Ansprache schon mal etwas rustikaler ausfallen, so wie auf Handzetteln, die Pearson und seine Kollegen auf Messen verteilen. „Arsch hoch“, heißt es darauf schlicht und prägnant. Einer, der seine Erfahrungen weitergibt, ist der neue Vorsitzende Natalino Labate: „Es gab Menschen, die mir als Einwandererkind eine Chance gegeben haben. Wir brauchen in Deutschland qualifizierte Arbeitskräfte, deshalb setze ich in meine Mitarbeiter Vertrauen und übertrage ihnen Verantwortung – diese Chance möchte ich auch jungen Menschen geben.“

 

Reinhold Kober

sicht+sonnenschutz 7-8/2018

No Comments

Sorry, the comment form is closed at this time.

Vereint im Streben nach Konfektion.

Menschen für Textilberufe und Textil-Technik begeistern.